Kampf gegen eine Legende

von Erwin Rohrmoser

Muhammad Ali ist zweifellos einer der bekanntesten Sportler, die jemals auf diesem Planeten gelebt haben. Selbst Menschen, die in ihrem Leben nie einen Boxkampf gesehen haben, kennen seinen Namen. Schon zu Lebzeiten wurde er zur Legende in seiner Sportart und weit darüber hinaus.

Und „The Greatest“ hatte sogar eine Verbindung zu Großarl, besser - zu einem Großarler - und dessen Geschichte soll hier erzählt werden.

LINDY, a Großarler Bua

Am 24. Januar 1934 wird Ignaz als Sohn von Ignaz und Maria Lindmoser in Großarl geboren. Er wird in eine Zeit hineingeboren, die mehr Bitterkeit als Zuversicht bereithielt und auch in Großarl, das von Armut und Elend geprägt war, war das nicht anders. Obwohl die Schlachtfelder des bald ausbrechenden Zweiten Weltkrieges weit weg waren, hinterlässt er großes Leid und schwere Schicksale auch in unser Tal. Der junge Ignaz Lindmoser muss wohl miterlebt haben, wie junge Männer, Bekannte, Freunde aus Großarl eingezogen wurden und nie mehr nach Hause kamen.

Der Krieg war ein ständiges Gesprächsthema: „Wieder ist einer gefallen“ oder „Der Sohn von ... wird vermisst.“
So verliefen die damaligen Jahre – viele gingen, und nur wenige kehrten zurück.

Als der Krieg 1945 vorbei war, war Salzburg von US-Truppen besetzt. Man erzählt sich, dass der jugendliche Ignaz von den US-Soldaten ganz fasziniert war. Und schon bald wird dem jungen Mann das ärmliche Großarltal mit seinen wenigen Perspektiven zu eng. Eine Idee beginnt zu reifen und 1954 war es dann soweit: Von Großarl über den Atlantik, ohne ein Wort Englisch zu sprechen, nach Kanada. Dort fand er zunächst Arbeit als Maurer und Bergarbeiter und später, bis zu seiner Pensionierung, als Spezialschweißer für die Stadtwerke von Vancouver.

In Kanada und weit darüber hinaus, wird Ignaz Lindmoser ein sehr bekannter Mann, den die Menschen fast nur unter seinem Kampfnamen LINDY kennen.

Eine Karriere beginnt

Boxen war in den Nachkriegesjahren in Amerika und Kanada eine überaus beliebte Sportart. Boxkämpfe lockten viele Besucher an und waren teils so populär, dass sie nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Radio übertragen wurden.
Ignaz war davon angezogen und stand schon ab 1955 selbst im Ring. Zunächst mit bescheidenem Erfolg. Der Sportreporter Jack Richards schrieb über Lindys frühen Boxstil:

"Er hatte kein Naturtalent fürs Boxen. Er hatte genau zwei Verteidigungsstrategien: Egal wie hart Lindy getroffen wurde, er lächelte immer, und die zweite war eine Pose, die an das Gemälde 'Septembermorgen' erinnerte. Keine der beiden war besonders wirkungsvoll".


Lindy war also kein Naturtalent, aber er hatte den unbedingten Willen zu trainieren und eine unglaubliche Disziplin. Im South Hill Boxing Club nahm ihn der renommierte Trainer Bert Lowes unter seine Fittiche und formte Lindy in kürzester Zeit zu einem Top-Amateurboxer. Lowes war begeistert von ihm, denn er hatte noch nie jemanden erlebt, der so einfach zu trainieren war. Der Erfolg stellte sich schnell ein. Bald verglichen Sportjournalisten Lindys Stil mit dem der deutschen Boxlegende Max Schmeling. Seine körperliche Konstitution beschrieben sie so:

„Sogar seine Muskeln haben Muskeln und seine Beine sind Stahlträger mit Scharnieren.“ Immer wieder wurde in den Zeitungen geschrieben, dass Lindys Fäuste einschlagen wie Bomben.

In einem Interview meinte Lindy, er liebe das Training und neben dem Boxen und der Arbeit treibe er viel Sport. Er ist gerne auf Skiern unterwegs, Tennis ist seine große Leidenschaft. Wenn er Tennis spielt, dann gleich acht Stunden am Tag. Man erzählt sich auch, dass seine Hände angeblich so schnell waren, dass er Fliegen im Flug fangen konnte.

Eine Geschichte, die in vielen Zeitungen steht und seine beeindruckende Kondition zeigt, ist folgende: Lindy wollte mit dem Bus zu seinem Boxclub fahren. Der Busfahrer wollte oder konnte ihm nicht das Wechselgeld für die Fahrkarte geben. Also wettete Lindy mit dem Busfahrer, dass seine Beine schneller als der Bus seien. Er lief los und kam nach unzähligen Blocks mit hochrotem Kopf an und wartete vor dem Boxclub bis der Bus vorbeifuhr. Laut Trainingskollegen soll Lindy mit dem Finger auf den Busfahrer gezeigt und die ganze Zeit geschrien haben: „I beat you, I beat you!“

Die Erfolge

Lindy gewann viele seiner Kämpfe extrem dominant. Zum Beispiel bei einem Golden Gloves Finale, bei dem er nur zweimal zuschlug. Sein erster Schlag brachte seinen Gegner zu Boden und dieser wurde bis neun angezählt. Der zweite Schlag traf mit solcher Wucht, dass sein Kontrahent aus dem Ring geschleudert wurde.

Beim Finale des Canadian Championship Turniers von 1959 kämpfte er gegen den Armee-Soldaten und Artillerieschützen Jimmy King. Dieser hatte das Finale recht locker erreicht und er tönte vor dem Kampf, dass er Lindy in Scheibchen schneiden werde. Die Glocke ertönte, der Kampf begann... und endete nach 36 Sekunden der ersten Runde. Jimmy King wurde ausgezählt und blieb zehn Minuten bewusstlos liegen.

Lindy gewann von 1957 bis einschließlich 1960 unglaubliche 16 Golden Gloves Turniere (bei diesen Turnieren treffen nur die besten Amateurboxer aufeinander). Darüber hinaus war er kanadischer Meister im Amateurboxen und Bronzemedaillengewinner der Panamerikanischen Spiele. Er war nominiert für den Crowe Award als herausragender Amateursportler. Außerdem erhielt er die Civic Medallion of Recognition von Vancouver.

Er war auch nordamerikanischer Meister, was beeindruckend ist, weil dieses Turnier in seiner Gewichtsklasse auch absolute Boxlegenden wie Joe Louis und „The Greatest of All Time“ Muhammad Ali (damals noch Cassius Clay) gewonnen haben.

Das Highlight

Sein größter Kampf fand am 3. April 1959 in Toledo, Ohio statt. In diesem Turnier ging es um die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1960 in Rom. Im Halbfinale standen sich Lindy und der spätere Jahrtausendsportler Cassius Clay (Muhammad Ali) gegenüber. In Lindys Ecke wusste man, dass es ein harter Kampf werden würde, denn ihr Schützling laborierte an einer gebrochenen Hand und er konnte seine „Bomben“ nicht wie gewohnt zünden (dies wusste aber nur der Trainerstab).

Der Kampf brachte keinen K.o.-Sieger hervor, also mussten die Punktrichter entscheiden. Es wurde als sogenannte „split decision“ gewertet. Das heißt, ein Punktrichter sah Lindy als Sieger, die anderen beiden Cassius Clay.

Nur wenige Menschen standen mit „The Greatest“ im Ring. Nur ein paar Europäer waren darunter und davon ein einziger aus Österreich.

Das plötzliche Ende der aktiven Karriere

Kurz darauf hatte Lindy seinen wichtigsten Kampf zu bestehen – den Kampf gegen den Tod. Er wurde auf dem Gehsteig von einem Auto erfasst und schwerst verletzt. Nach Wochen im Koma kam er langsam wieder ins Leben zurück und nur aufgrund seiner körperlichen Fitness überlebte er diesen Unfall.

Die Folgen waren jedoch so schwerwiegend, dass er nicht mehr in den Ring steigen konnte. Er wurde Trainer in seinem Boxclub und gab sein Wissen weiter. Lindy war so erfolgreich im Amateurboxen, er hätte bestimmt auch eine fantastische Profikarriere gehabt.

Wie kann es nun sein, dass in Österreich, insbesondere in seinem Heimatort Großarl, heute fast keiner mehr etwas von diesem so unglaublichen Athleten und wohl erfolgreichsten Sportler des Tales weiß?

Zu Lindys erfolgreichen Zeiten waren Amerika/Kanada noch unglaublich fern, eine regelmäßige Kommunikation nur mit Briefen möglich. So geht es sehr schnell, dass derjenige der von zu Hause weggeht, bald vergessen wird. Das Internet und Social Media gab es noch nicht und die hiesigen Medien schrieben nur wenig über Sportler von anderen Kontinenten. Außerdem wurde Lindy kanadischer Staatsbürger, was ihn zusätzlich der heimischen medialen Aufmerksam entzog. So erfuhren nur ein paar wenige im Tal die Geschichten, die Lindy auf seinen Heimaturlaub mitbrachte, doch auch diese verblassten über die Jahrzehnte.

Lindy verstarb im Jahr 2008 als bekanntes Sportidol von Kanada bis Mexiko. als Gewinner von 16 Golden Gloves Turnieren und als standfester Gegner von Cassius Clay vg. Muhammed Ali  in einem legendären Kampf über die volle Distanz.
2010 gründete sich die British Columbia Amateur Boxing Hall of Fame und Lindy wurde bereits im Jahr darauf aufgenommen.

Ignaz Lindmoser war der größte und erfolgreichste Sportler des Großarltales. Wir alle können auf ihn stolz sein und er hat es wahrlich verdient auch in Großarls "Hall of Fame" aufgenommen zu werden.

Diese kleine Portrait möchte ein erster Beitrag dazu sein.

Epilog

Lindy war nicht nur ein fantastischer Athlet. Seine Tochter Linda beschreibt ihn so:

My dad was my hero. Some of my fondest memories were when we walked to church holding hands. We went on many skiing trips, spent time at the pool and tennis courts together.  We had a weekend camping space year round where we spent many weekends outdoors.

With every hug my feet left the ground.  As a smaller child he would throw me up in the air and catch me. He was a tender, gentle, and loving dad.

Dieses Porträt entstand mit tatkräftiger Unterstützung von den in Großarl lebenden Familien Lindmoser, Hofer und Fröhlich und vor allem Lindys Tochter Linda MacPherson. Sie öffnete das Familienalbum und unterstützte die Recherche mit unzähligen Zeitungsartikel, Dokumenten und ihren Worten. Anekdoten wurden auch von Laurie Lowes eingebracht, dieser ist der  Sohn von Lindys Trainer Bert Lowes.

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