Am Anfang ist ...
von Erwin Rohrmoser
Wenn ein Kind das Licht der Welt erblickt, ist der erste Mensch der es begrüßt und in Händen hält, meist nicht die Mutter oder der Vater. Es ist fast immer die Person, die mit der Mutter den Weg der Geburt ging und ihr beistand: Die Hebamme.
Heutzutage sind Hebammen hoch spezialisiert, bestens ausgebildet und sie steigern ihr Wissen laufend in Fortbildungen und im Kreißsaal. Im 19. Jahrhundert war die Situation eine ganz andere. Es gab weder Schulen noch Institutionen, die systematisch das Wissen vermittelten. Es wurde lediglich individuelles Erfahrungswissen von einer Generation an die nächste weitergegeben. All die Vorzüge, die ein moderner Kreißsaal bietet, waren damals nicht im Ansatz vorhanden. Geburten fanden in der Regel zuhause statt und bei Komplikationen wurde mit viel Erfahrung und den vorhandenen Möglichkeiten reagiert.
Es gab zwar das eine oder andere „Lehrbuch über die Hebammenkunst“. Die Ausbildung zur „Dorfhebamme“ dürfte aber in unserem abgeschiedenen Tal wohl eher nur über das Assistieren bei erfahrenen „Wehe Muttern“ und durch praktische Erfahrung erfolgt sein. Einem dieser „unsichtbaren Engel“ sei dieses kurze Portrait gewidmet.
Gertraud Emerenz Klamer wurde am Samstag, dem 25.01.1812 in Großarl geboren. Sie ist das fünfte von sieben Kindern des Schneidergesellen Josef Klamer und der Gertraud Bergerin.
Sie wurde in politisch unruhige Zeiten hineingeboren. Napoleon Bonaparte veränderte mit seinen Kriegen Europa nachhaltig. Salzburg war zu diesem Zeitpunkt gerade Teil des Königreich Bayern und schon einige Jahre später, im Juni 1816 verlor es seine Eigenständigkeit und wurde Teil des Habsburgerreiches.
Gertraud Emerenz Klamer war also eine waschechte Großarlerin, aber auch eine gebürtige Bayerin.Sie trägt zwar den selben Vornamen wie ihre Mutter, aber aus irgendeinem Grund lehnte sie den Namen „Gertraud“ für viele Jahrzehnte ab. Erst gegen Ende ihres Lebens wird sie in den Dokumenten wieder mit ihrem vollem Namen erwähnt.
Über ihre Kindheit ist nichts bekannt. Aber bevor sie als Hebamme in den Dokumenten in Erscheinung tritt, erlebt sie zunächst selbst die Geburt.
Am 25.05.1841, mit 29 Jahren, bringt sie ein Kind zur Welt. Begleitet wurde Emerenz Klamer dabei von der Hebamme Maria Dachs, von der sie in naher Zukunft noch viel lernen wird. Diese Geburt war für sie eine Schande und ein sozialer Abstieg, denn dieses Kind war nicht nur unehelich, auch sein Vater blieb unbekannt. In der damaligen konservativen, erzkatholische Gesellschaft unsers Tales waren „ledige“ Mütter außerordentlich stigmatisiert.
Ihre Tochter Maria erlebte allerdings nur knapp das erste Jahr und starb, wie so viele Kinder dieser Zeit, an Durchfall.
Ob die Emerenz Klamer nun freiwillig den durchaus angesehenen, aber harten Hebammen-Beruf wählte oder dafür bestimmt wurde, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass sie ab 1844 als Geburtshelferin aktiv ist.
„Ihre“ Hebamme, Maria Dachs, eine Frau mit viel Erfahrung und Elisabeth Moyses, die vor allem in Hüttschlag tätig war, bildeten sie aus und übergaben ihr langsam die Aufgaben in Großarl.
Ihre erste eigenverantwortliche Entbindung führte sie am 26.04.1844 zu den Bauersleuten vom Gut Brand. Die Niederkunft verlief, wie viele in dieser Zeit, problematisch und endete mit dem Tod des Knaben. Für uns unvorstellbar, war es in einer Zeit mit sehr hoher Kindersterblichkeit kein ganz außergewöhnliches Ereignis.
Bei ihren ersten 100 Geburten überlebten 6 Kinder diese nicht.
Dabei nicht mitgezählt sind die Kinder, die in den ersten Lebenswochen/Monaten starben.

© Erwin Rohrmoser

© Erwin Rohrmoser
Ehe und Mutterschaft
Im Jahr 1847 heiratet Emerenz. Nicht, wie wir erwarten würden einen Großarler, an ihre Seite tritt ein 40jähriger Tiroler. Mathias Jesacher ist von Beruf ein feinfühliger Uhrmacher.
Bald darauf bekam die Emerenz, nun Jesacher auch zwei eigene Kinder und diese überlebten die kritische Zeit der ersten Lebensjahre.
Ihre Hebamme war, wie schon bei ihrem ersten Kind, ihre Lehrmeisterin Maria Dachs.
Sehr bemerkenswert ist, dass sich die Emerenz Jesacher nach der Geburt ihrer Kinder nur kurz schonte. Bereits zwei Wochen nach der Entbindung war sie wieder als Hebamme unterwegs und half den Kleinsten auf die Welt.
Bis einschließlich 1854 gab es mehrere Hebammen im Tal. Von 1855 bis 1878 ist Emerenz Jesacher die einzige Frau, die werdende Mütter bei der Niederkunft begleitete. Dann, im Alter von 66 Jahren übergibt sie nach und nach ihre Aufgaben und ihr Wissen an die nächste Generation.
Zur Ruhe setzt sie sich aber noch lange nicht. Immer wieder leitet sie eine Geburt, jedoch werden die Zeitabstände länger.
Einige „ihrer“ Kinder waren zu Höherem berufen und das Tal wurde diesen zu eng.
Mindestens drei versuchten ihr Glück in den USA, genauer gesagt in Arkansas (Martin Zimmerebner), in St. Vincent (Michael Zimmerebner) und in Los Angeles (Georg Göschl).
Ein Knabe, den sie auf die Welt begleitete, hinterließ große Spuren in der Geschichte Salzburgs. Sein Name wird noch heute mit Respekt und Stolz ausgesprochen:
Der Salzburger Erzbischof aus dem Großarltal, Ignatius Rieder.

© Erwin Rohrmoser

© Erwin Rohrmoser
Am 27.05.1887 wirkte sie das letzte Mal in ihrem Beruf. Gertraud Emerenz Jesacher, mittlerweile 75 Jahre alt, half einem Mädchen auf die Welt, welches den Namen Maria bekam.
Nach 43 Jahren als Hebamme, von denen sie ca. 23 Jahre die einzige in Großarl war, blickt sie auf 1304 Geburten zurück. Am 26.10.1891 verlassen die fast 80jährige Gertraud Emerenz schließlich die Kräfte. Sie wird mit den heiligen Sterbesakramenten versehen und verstirbt an Altersschwäche. Drei Tage später wird sie um 06:45 begraben und findet am Gottesacker ihre Ruhe.

© Erwin Rohrmoser

© Microsoft Bing
Dieses kleine Portrait der Gertraud Emerenz (Klamer) Jesacher soll beispielhaft für die Lebenswelt vergangener Epochen stehen. Besonders berührend war es für mich, eine Person aus vergangener Zeit in einem Berufsstand zu beleuchten, der uns alle angeht und dem doch viel mehr Beachtung gebühren würde.
Möge sie damit stellvertretend für alle Hebammen vor, während und nach ihrer Zeit stehen.
Dieses Portrait basiert auf den Einträgen in diesen Quellen: Großarler Tauf-, Trauungs-, und Sterbmatriken.
Die Bilder sind KI generiert mit Microsoft Bing.
Kommentare (3)
Sibert Werner
am 28.03.2024Sehr interessant und lesenswert geschrieben. Meinen Respekt.
Sibert Werner
am 28.03.2024Sehr interessant und lesenswert geschrieben. Meinen Respekt.
Hettegger Ignaz
am 18.03.2024Meine Frage: Sind die beiden Bilder die Hebambe oder nur Symbolbilder. (Gestochen schöne Fotos) KI?